Der Sterne Zahl - Empfehlung
- Alexander Böhm
- May 9, 2022
- 4 min read
Zu den Empfehlungen
In den Kommentaren zu Projekten, die ich sonst im Internet teile, werden mir immer wieder Filme, Serien, Spiele und Bücher empfohlen. Teils, weil sie an das geteilte Projekt erinnern, teils weil sich Fan-Art dazu gewünscht wird, teils aus reinem geteiltem Interesse. Sowohl auf meiner englischen Projektseite als auch hier in der Hyperfunkzentrale möchte ich diesen Gefallen erwidern. Von Zeit zu Zeit werde ich hier einen Blick auf Projekte und Universen werfen, die mich besonders mitgenommen haben. Dabei wird es auch immer einen Bezug auf die hier sonst geteilten Projekte und Perry Rhodan geben, sodass auch diese anderweitigen Empfehlungen relevant bleiben.
Nun, ohne weitere Einleitung, zur Sache:
Hautnaher Untergang
Der erste Eintrag der Empfehlung ist Kameron Hurley's "Der Sterne Zahl"(2017), ins Deutsche übertragen von Helga Parmiter. Es ist eine Geschichte großer Eroberungen, über Liebe und Rache, erzählt aus der Perspektive von Zan. Die große Kriegerin erwacht ohne Erinnerung inmitten einer Legion sterbender Weltenschiffe, verstrickt in einen verzweifelten Krieg angesichts des langsamen Untergangs.
"Brutal" ist das Wort der Wahl, um das Werk in seiner Gänze zu beschreiben; "Hautnah" wäre der zweite Kandidat. Von dem existenziellen Grauen des ganzen Universums, über die harsche Verletzlichkeit der Charaktere, bis hin zu den detailliert-schockierenden Beschreibungen jeder Szene und Umgebung lässt sich jeder Aspekt der Geschichte mit diesen Worten treffend beschreiben. Die Handlung stürzt sich von Beginn an kompromisslos in eine wilde Jagd und erzeugt ebenso eine hautnahe, geradezu brutale Erfahrung, die keinen Raum für Verschnaufpausen lässt.

Kompromisslose Geschichte
Mit langer Exposition wird sich gar nicht erst aufgehalten. Der gedächtnislosen Protagonistin gibt sich die Welt im raschen Rhythmus der Geschichte preis, ohne dabei das zentrale Mysterium ihrer Herkunft und vergessener Pläne aus den Augen zu verlieren. Die Geschichte profitiert im Übrigen sehr davon, sich nicht von Genre-Kategorien festlegen zu lassen. Von großer Weltraum-Oper zu reinstem Horror und fantastischem Abenteuer, bis hin zum psychologischen Drama rücken immer neue Aspekte ins Zentrum der Erzählung.
In all dem kommt die Handlung ohne große Verzweigungen und unerwartete Wandlungen aus. Vielmehr steht das wachsende Verständnis für die Welt und das schiere Ausmaß ihrer Entwicklungen darin im Vordergrund.
Der Fokus liegt, zumindest aus Sicht des Worldbuilding-Enthusiasten, eindeutig auf der Legion der Weltenschiffe, die eine einzigartig lebendige und fantastische Kulisse bilden.
Große Geschichte in noch größeren Welten
Selten habe ich ein Werk gelesen, das auf so unmittelbare Weise Größenordnungen in Raum und Zeit vermittelt. Die gewaltigen Ausmaße der Flotte, ihrer Reise und der Katastrophen werden kaum beziffert, sondern durch die Erfahrungen der Reisenden Stück für Stück offenbart. Hinter jeder Ecke werden neue Teile der Welt enthüllt, gibt es Hinweise auf die ferne Vergangenheit und dem, was Jenseits der eigenen Wahrnehmung liegt. Diese Schnappschüsse sind aber so fragmentiert wie die Erinnerungen Zans und ihre größeren Zusammenhänge bleiben der Vorstellung überlassen.
Zan selbst verfolgt zielstrebig ihr eigenes Ziel, zu beschäftigt um sich mit den Feinheiten der Geschichtsschreibung oder stellaren Geographie der Weltenschiffe auseinanderzusetzen. Dies beraubt die Welt nicht ihrer Komplexität, aber zeigt sie stets durch die begrenzte Sicht der Protagonistin.
Leben, Blut und Wiedergeburt
Jene Sicht der Protagonistin ist hierbei besonders stark, da sie durch klare und ausdrucksstarke Motive geprägt ist: Der Zyklus von Leben und Tod, Geburt und Leid, diese Motive erstrecken sich auf jeden Aspekt der Geschichte, von den Motivationen der Charaktere hin zu Beschreibungen der Weltenschiffe selbst. Früh ergibt sich daraus eine starke Bildsprache, die trotz wechselnder Handlungsorte und Motivationen immer ein Fundament und Orientierung bietet.
Körperliches Empfinden, Erfahrungen und Leid bleiben damit auch der Referenzpunkt, der die außerweltlichen und mystischen Aspekte der Geschichte zugänglich macht. Egal wie weit in der Zukunft die Handlung sich abspielt, egal welche Ausmaße sie annimmt, es bleibt im Kern eine ungemein menschliche Erfahrung.
Neben der Welt machen dieselben Motive auch Charaktere nahbar, sympathisch oder tragisch. Kosmische Ideologien und geschichtliche Umstände spielen zweifellos eine Rolle in den Konflikten zwischen Nationen und Welten hier, doch sie überschatten niemals einen emotionalen Kern zwischenmenschlicher Beziehungen, die im Herzen der Geschichte liegen.
Fleischiger Stoff
In der Umsetzung dieser starken Motive ist das Werk schonungslos und lässt kein blutendes oder schleimiges Detail aus. Mit dem Trauma einer in Gefangenschaft erzwungenen Heirat samt Menschenopfer, Landschaften getürmter Leichen und diversen Geburten mutierter Wesen finden sich in "Der Sterne Zahl" zu genüge Szenen die ohne weiteren Kontext als platt Provokant und nur auf den "Schock" ausgerichtet wirken. Mit Blick auf ihre thematische Rolle lässt sich so ein Urteil keinesfalls flächendeckend aussprechen, doch ob und wann der Text in seiner grafischen Detailverliebtheit Grenzen überschreitet wird in jeder einzelnen Leseerfahrung einzeln entschieden werden müssen.
In gewisser Weise steht der Text damit in der Tradition diverser Größen der Science Fiction. Wer mit der Praxis von "Rishanthra" aus Larry Niven's Ringwelt Romanen vertraut ist, wird von derartigen Ausschweifungen im Genre alles andere als Überrascht sein. In einem solchen Vergleich lässt sich immerhin sagen, dass "Der Sterne Zahl" ein wesentlich stärkeres thematisches Fundament vorzuweisen hat.
Empfehlung und Schluss
Nach einer derartigen Beschreibung mag der Eindruck entstehen, die Geschichte würde dem Trend des "Grim-Dark" anheimfallen: So düster und brutal wie möglich eine Dystopie zu beschreiben, in der Extreme und Hoffnungslosigkeit als Markenzeichen gefeiert werden. Dem ist in keinem Fall so. Dazu steckt in all der schonungslosen Brutalität der Geschichte ein zu ehrlicher, menschlicher Kern und Optimismus.
Mit knapp 400 Seiten und einem mitreißenden Tempo ist die Geschichte für alle Weltraum- und Abenteuerbegeisterten Empfehlenswert, die sich auf eine düstere, schonungslose aber grundsätzlich nicht pessimistische Reise einlassen wollen. Es erwarten einen nicht nur Abgründe, sondern auch Höhepunkte menschlichen Daseins.
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